Aus den Auswertungen der Zugverspätungen lassen sich mögliche Verspätungsursachen ableiten:
Die Kurzwenden an beiden Endpunkten (in Freilassing 6 min, in Braunau 11 min) tun ein Übriges, um Verspätungen zu verschleppen (zu geringer Zeitpuffer, Verspätung wird auf den nachfolgenden Zuglauf übertragen).
Obige Punkte zeigen auch klar, dass neben den knappen Zugfolgen ein Schwachpunkt auch die mangelnde Infrastruktur in Neumarkt ist. Es wurde auch im Vorfeld vielfach kritisiert, dass der Fahrplan mit Umsteigeknoten Neumarkt vor der Umsetzung der baulichen Maßnahmen (3. Gleis) sowie Beschleunigungsmaßnahmen auf der Mattigtalbahn realisiert wird. Im Rahmen der Präsentation des neuen Fahrplankonzeptes in Neumarkt am 23.03.2017 wurde auch seitens eines Vertreters der ÖBB Infra scherzhaft-kritisch angemerkt, dass es eher unüblich sei, zuerst Fahrplanänderungen einzuführen und erst danach die dafür notwendige Infrastruktur zu errichten. Es zeigt sich nun, dass dies aus gutem Grund bisher nicht so gehandhabt wurde.
Durch die chronischen Verspätungen und regelmäßige Verlegung der Zugkreuzung nach Munderfing waren die Kurzwenden an den Endpunkten nicht möglich, es musste eine weitere Garnitur zum Einsatz gelangen, um Verspätungen nicht weiter zu verschleppen. Im Rahmen der Diskussionen vor Einführung des neuen Fahrplans wurde seitens des SVV die Streichung des Haltes der Braunauer REX im fahrgaststärksten Bahnhof Seekirchen u.a. damit begründet, dass zur Aufrechterhaltung des Stopps in Seekirchen eine Garnitur mehr im Umlauf nötig sei, Zugkreuzungen nach Munderfing verlegt werden und die Kurzwenden entfallen müssten. Nun ist genau diese Situation eingetreten – ohne in Seekirchen anzuhalten.
Mit dem Durchbinden der Braunauer REX bis Freilassing konnten die bisher auf der Strecke eingesetzten Triebwagen der Baureihe 5047 nicht mehr verwendet werden, da diese nicht mit dem modernen Zugsicherungssystem PZB 90 (PZB = Punktuelle Zugbeeinflussung) ausgerüstet sind, das zum Befahren des Streckenabschnittes bis Freilassing Bedingung ist. (Die 5047 verfügen über die Vorgängerversion PZB 60). Daher wurde entschieden, Triebwagen der Deutschen Bahn der Baureihe 628 anzumieten, die mit PZB 90 ausgerüstet sind.
In der Praxis zeigt sich nun, dass die – an sich komfortablen Fahrzeuge – einige Nachteile gegenüber den ÖBB 5047 aufweisen, die zwar sicherlich nicht als Hauptursache der Verspätungen angesehen werden können, aber auch zur Unpünktlichkeit mit beitragen.
PZB-90: Wie oben angeführt, ist die Ausrüstung mit dem Zugsicherungssystem PZB 90 zwingende Voraussetzung, um die Züge bis Freilassing zu führen. Dieses sehr restriktive System bringt jedoch auch Nachteile mit sich, die sich durchaus auf die Fahrzeiten auswirken.
Wie bei der Vorgängerversion PZB 60, über die auch die 5047 verfügen, muss der Lokführer Vorsignale und Signale, die einen einschränkenden Fahrtbegriff zeigen (freie Fahrt mit maximal 40 km/h, freie Fahrt mit maximal 60 km/h) bestätigen, ist die Geschwindigkeit beim Hauptsignal höher, erfolgt eine automatische Zwangsbremsung. Beim System PZB 90 wird dies durch restriktivere Geschwindigkeitsüberwachung ergänzt, die auch den Bremsvorgang zwischen Vor- und Hauptsignal sowie die Beschleunigung nach dem Hauptsignal erfasst. Wird zu spät gebremst, um die Geschwindigkeit bis zum Signal sicher zu erreichen oder wieder zu bald beschleunigt, erfolgt eine automatische Zwangsbremsung.
Was bedeutet dies in der Praxis? Z.B. Ausfahrt Steindorf, Einfädeln von der Mattigtalbahn auf die Westbahn Richtung Salzburg. Hier müssen einige Weichen passiert werden, Signal steht auf Fahrt mit maximal 40 km/h. Mit dem ÖBB 5047, ausgerüstet mit PZB 60, konnte unmittelbar nach dem Passieren des Signals und der Weichen, d.h. sobald der Lokführer wusste, dass sein Zug die Weichen verlassen hat, beschleunigt werden. Mit dem DB 628, ausgerüstet mit PZB 90, muss mit dem Beschleunigen abgewartet werden, bis das Sicherungssystem das Fahrzeug aus der Geschwindigkeitsüberwachung (Restriktion) nach dem Passieren des Signals wieder entlässt, was mehrere 10er Sekunden dauern kann. Der 628 schleicht nach der Ausfahrt in Steindorf somit bis kurz vor dem Halt in Neumarkt mit maximal 40 km/h dahin. Ähnliche Verzögerungen gibt es bei allen mit modernen Signalen ausgerüsteten Bahnhofsausfahrten.
Nach Auskunft von Lokführern trägt auch dies merkbar dazu bei, dass es – im Vergleich zu den ÖBB 5047 – mit den DB 628 zu Problemen bei der Einhaltung des Fahrplans kommt.
Fehlende Haltewunschtaste, keine Möglichkeit von Bedarfshalten: Ein großer Nachteil gegenüber den ÖBB 5047 ist bei den DB 628 das Fehlen einer Haltewunschtaste. Damit muss in allen Stationen angehalten werden, egal ob jemand aus- bzw. zusteigen will oder nicht, was zusätzlich erhebliche Zeit kostet bzw. ein Aufholen von Verspätungen durch den Wegfall von Halten nicht möglich ist.
(Die wenigen Regionalzugkurse, die nur in der Relation Steindorf – Braunau verkehren, werden noch von ÖBB 5047 bedient. Bei diesen Kursen sind viele Halte als Bedarfshalte ausgewiesen, wohingegen bei den mit DB 628 geführten REX-Kursen im Fahrplan alle Stationen als planmäßige Halte angeführt sind).
Kein 0:0 Betrieb möglich: Die DB 628 sind in Österreich nicht für den sogenannten 0:0 Betrieb, d.h. Einmannbedienung (nur Lokführer, kein Zugbegleiter), zugelassen. Sosehr die Anwesenheit von Zugbegleitern auch im Regionalverkehr zu begrüßen ist, scheint es nach Beobachtungen jedoch so zu sein, dass das Abfertigen durch Zugbegleiter (Überwachen Türschließvorgang) nach jedem Halt geringfügig länger dauert als im 0:0 Betrieb.
Leistung: Bereits vor in Kraft treten des Fahrplans wurde der geplante Einsatz in Fachkreisen diskutiert, da der 628 deutlich weniger Motorleistung als ein 5047-Doppel, wie sie bisher auf dieser Strecke verkehrten, aufweist. Auch die Planer des SVV wurden im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung am 23.03.2017 in Neumarkt darauf hingewiesen.
Eine 5047-Doppelgarnitur weist eine ähnliche Transportkapazität wie der VT 628 auf, verfügt aber bei gleicher Anzahl an Achsen doppelt so viele angetriebene Achsen und auch beinahe die zweifache Leistung (2*419 KW). Der DB VT 628 gilt zwar als sehr zuverlässig, beschleunigt aber aufgrund des hohen Gewichtes etwas zäh und neigt bei ungünstigen Reibungsverhältnissen (nur ein von vier Drehgehstellen angetrieben!) zum Schleudern (= „Durchdrehen“ der Antriebsachsen) und damit erst recht zu sehr langsamer Beschleunigung.
Wie sich in der Praxis gezeigt hat, kann der VT 628 zwar die knapp bemessenen Fahrzeiten unter guten Bedingungen +/- halten, ist jedoch kaum in der Lage, größere Verspätungen aufzuholen. Auch von Lokführern wird bescheinigt, dass das Fahrzeug „über zu wenig Leistung verfüge“ und hinsichtlich des Beschleunigungsverhaltens angeführt „er zieht halt nicht“.
Zusammenfassend kann man bei Auswertung der Verspätungsdaten festhalten, dass vermutlich der Fahrplan selbst als Verspätungsursache angesehen werden muss:
Nach Auskunft von Lokführern haben sich diese Schwachpunkte bereits bei Probefahrten längere Zeit vor Fahrplanumstellung gezeigt, bei denen die Fahrzeiten nicht oder nur sehr knapp eingehalten werden konnten.
Warum der Fahrplan trotzdem und vor allem auch trotz zahlreich geäußerter Bedenken in dieser Form umgesetzt wurde, ist nicht nur vielen Fahrgästen ein Rätsel.